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Sep 10

ABSCHIED

VergissmeinnichtVor gut einem Jahr hingen rund um die Soorstraße hässliche Plakate an den Bäumen –
sie riefen zur Unterschriftensammlung auf – gegen Flüchtlinge, die hier ein neues Zuhause, bzw. einfach erstmal nur Sicherheit finden sollten.
Entsetzt, so etwas in meinem beschaulichen Westend zu sehen, die Unterschriftenliste in meinem Lieblingscafé (My Cottage) vorzufinden, hat mich auf die Suche getrieben, Menschen zu finden, die mich unterstützen, denen auch das Leid der Flüchtenden nicht egal ist.

So entstand „Willkommen im Westend“.
Vieles habe ich in dieser Zeit erlebt, nicht immer nur Schönes!!!
Es war ein Jahr voller Aufregung, Anspannung, ganz viel Arbeit, emotionales Hoch und Runter, Bauchschmerzen, Lachen, Auseinandersetzungen, Neues kennenlernen – und wagen, Herzrasen, Lob, beschützen wollen, kämpfen,…

Dass sich die Situation wieder entspannt hat, ist auch vielen unseren Aktionen geschuldet, in denen Anwohner mit den Heimbewohnern in Kontakt kamen (z.B. das erste Sommerfest oder die Vernetzung der Ehrenamtler_innen).
WiW hat eine tolle Willkommenskultur geschaffen!!!
Nun ist wieder ein ganz normales Leben in einer ruhigen Wohngegend entstanden. Die meisten Leute im Westend haben erkannt, dass sich ihr Leben durch das Heim nicht geändert hat und inzwischen ist relative Normalität eingezogen.
Menschen traten in mein Leben und begleiteten mich eine Weile. Einige bleiben für immer, denn sie hinterließen ihre Spuren in meinem Herzen. Ich gehe mit einem lachenden Auge und mit einem weinenden Auge. WiW war mein „Baby“, ich hinterlasse ein Teil von mir selbst!

Was mich traurig macht, ist, dass nicht alle, die anfangs in die Flüchtlingsunterkunft eingezogen sind, noch da sind. Manche sind wieder abgeschoben worden, manche sind wieder geflüchtet und manch andere wenige – zu wenige von ihnen – deren Aufenthaltsstatus geklärt wurde, haben eigene Wohnungen bezogen.

Weiterhin mache ich mich stark für:
– ein Ende der Abschiebungen und Abschiebegefängnisse
– die Aufhebung der Residenzpflicht für Asylbewerber_innen und Geduldete
– das Ende der Unterbringung in Flüchtlingslagern
– und uneingeschränktes Recht auf Arbeit
Danke an die vielen Menschen, die ich kennen lernen durfte!
In der heutigen Zeit, wenn ich in mich gehe, dann spüre ich, wie wichtig Sicherheit für mich ist. Sicherheit bedeutet für mich: Gesund sein, ein Dach über dem Kopf haben, nichts bedroht mich. Sicherheit bedeutet für mich, mein gewohntes Umfeld bewahren zu können.

Ich vermag mir nicht vorstellen zu können, wie es Menschen auf der Flucht ergehen mag und schon gar nicht, wenn man hier – angekommen in der Zuflucht – auch noch angefeindet wird…

Ich geh weiterhin mit wachem Auge – nicht nur – durch mein Westend;
ich wünsch‘ Euch von Herzen, niemals zu erfahren, was es heißt auf der Flucht zu sein – niemals angefeindet zu werden!

Alles Liebe,
Eure Kirsten Goetze
(stolze Trägerin des Charlottenburger Integrationspreises 2013)