Kurz die Fakten:
Mitglieder eines Jugendclubs wollen nicht wegschauen und helfen Menschen, die nachts vor dem LaGeSo stranden. Irgendwann kommt jemand auf die Idee, man könne in dem großen Raum, der Nachts nicht genutzt wird, doch auch Flüchtlinge schlafen lassen. Gesagt, getan, es bildet sich ein Kreis von Ehrenamtlichen, der die Sache unterstützt und der Betrieb des Clubs geht dennoch weiter wie zuvor.
Doch dann schlägt irgendwann der Amtsschimmel zu, Anträge werden gestellt, Briefe geschrieben, die Sache kommt in die Bezirksverordnetenversammlung, die die Nutzung der Räume unterstützt – alles weitere ohne Kommentar:
- Offener Brief des Kiezbündnis Klausenerplatz e.V. an die zuständige Bezirksstadträtin
Sehr geehrte Frau König,
wie wir erfahren mussten, haben Sie der Kinder- und Jugendeinrichtung Schloss19 mit Verweis auf den Nutzungsvertrag und mangelnde Zuständigkeit untersagt den großen Saal außerhalb der Öffnungszeiten zur gelegentlichen nächtlichen NOTunterbringung von Flüchtlingen zu nutzen.
Wir finden diese Entscheidung nicht nur angesichts der aktuellen Situation mehr als befremdlich. Statt ehrenamtliches Engagement zu fördern, legen sie den Menschen Steine in den Weg, die versuchen das offensichtliche staatliche Versagen bei der Bewältigung aktueller Aufgaben mit ihrer aufopfernden und unbezahlten Arbeit aufzufangen.
Natürlich ist es nicht die Aufgabe des Schloss19 den Flüchtlingen vorm Berliner LaGeSo einen nächtlichen Schlafplatz zur Verfügung zu stellen. Und natürlich ist es auch nicht die Aufgabe von „Moabit hilft“ seit nun schon Monaten jeden Tag mit dutzenden Ehrenamtlichen die grundlegende Versorgung der dort bei Wind und Wetter wartenden Menschen mit Essen, Getränken, Kleidung, Informationen und auch medizinischer Hilfe zu organisieren. Aber es ist notwendig, denn die dafür zuständigen Stellen schaffen es selbst mit allen neu eingerichteten Unterkünften – aus welchen Gründen auch immer – schlicht nicht.
Die Alternative wäre entgegen jeder menschlichen Regung alles einfach so laufen zu lassen.
Ob es dann in den vergangenen Wochen und Monaten vor der LaGeSo bereits zu Todesfällen gekommen wäre, ist natürlich nur eine Vermutung, die sich aber angesichts der Situation vor Ort geradezu aufdrängt. Jeder, der einmal tagsüber oder in den Abendstunden dort gewesen ist oder einfach nur die unzähligen Zeitungsartikel über die menschenunwürdigen Bedingungen vor Ort verfolgt hat, könnte, ja müsste es besser wissen.
Um es nochmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Das LaGeSo ist mit der Situation seit langem überfordert. Das betrifft auch und gerade die nächtliche Unterbringung nicht registrierter Flüchtlinge, die dann mangels Alternative oft vor dem Gebäude oder in angrenzenden Parks schlafen mussten. Ohne die Vermittlung durch „Moabit hilft“ an viele Berliner Familien, Wohngemeinschaft und eben auch Einrichtungen wie das Schloss19 hätten tausende Menschen bei Regen und bitterkalten Temperaturen genau dieses Schicksal erleiden müssen.
Die Abends bzw. Nachts anwesenden Verantwortlichen des LaGeSo waren deshalb auch immer sehr dankbar über das ehrenamtliche Engagement zur nächtlichen Notunterbringung!
Es bleibt noch der Einwand einer fehlenden Regelung in der Nutzungsvereinbarung des Schloss19, doch gerade hier zeigen Beispiele aus anderen Bezirken, dass es auch unbürokratisch geht und angesichts der Situation auch gehen muss. In Mitte etwa ist das Bezirksamt sogar auf entsprechende Einrichtungen zugegangen und hat sie ermutigt, ihre Räume in den ungenutzten Nachtstunden für eine temporäre Notunterbringung zur Verfügung zu stellen.
Das diese improvisierten Notunterkünfte, wie auch der Saal im Schloß19, dann in aller Regel auch noch besser geeignet sind, was Platz pro Person, Sanitäranlagen und Notausgänge betrifft, als die offiziellen Hallen zur Massenunterbringung, zeigt nur erneut vor welcher Herausforderung wir stehen.
Wir können nur an sie appellieren, das Team des Schloss19 und die Ehrenamtlichen, die diese NOTübernachtungen ermöglicht haben, in Zukunft zu unterstützen – und natürlich auch alle anderen, die sich im Bezirk oder darüber hinaus engagieren um den neuen Bewohnern dieser Stadt einen möglichst angenehmen und v.a. menschenwürdigen Einstieg zu ermöglichen, gerade auch dort, wo staatliche Stellen ihre eigenen Aufgaben nicht oder nur ungenügend erfüllen.
- Antwort der zuständigen Bezirksstadträtin
- Kommentar in 100 Sekunden Leben im RBB von Renée Zucker
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Das ehrenamtliche Engagement in Berlin ist überall groß, egal ob in Ost oder West. Und doch gibt es einen gravierenden Unterschied: Offenbar geht mit so manchen Bürokraten in den Westbezirken der Amtsschimmel durch, wenn es um kurzfristige Hilfe geht, wie Kolumnistin Renée Zucker erlebt hat.
Da es schon seit Jahrzehnten in der ganzen Republik und nun auch in aller Welt bekannt ist, können wir es hier auch noch mal erwähnen: die Verwaltung dieser Stadt ist unterirdisch.
Ein Jugendklub in Charlottenburg wollte seinen Veranstaltungs-Saal, der nachts nicht gebraucht wird, als temporäre Notunterkunft für Menschen zur Verfügung stellen, die vor dem Lageso ausharren. Der Jugendclub sei für sowas nicht zuständig, und der Nutzungsvertrag erlaube dies nicht, beschied die zuständige Bezirksstadträtin. Das lokale Kiezbündnis schaltete sich ein und wies darauf hin, dass es auch nicht in den Zuständigkeitsbereich von Freiwilligen falle, seit Monaten Aufgaben zu bewältigen, für die eigentlich der Senat zuständig ist: die grundlegende Versorgung durch Essen, Getränke, Kleidung, medizinische Hilfe und Informationen der bei Wind und Wetter vor dem Amt hausenden Flüchtlinge.
Andere Bezirke zeigen sich flexibler als das ignorante Charlottenburg, wo offenbar manche Entscheidungsträger einfach so weitermachen wollen wie bisher und sich auf den Vorschriften ausruhen, als hätten sie noch nie von situativer Kreativität, geschweige von Mitmenschlichkeit gehört. In Mitte fragte das Bezirksamt von sich aus ähnliche Einrichtungen, ob sie ihre Räume des Nachts für gelegentliche Notübernachtungen zur Verfügung stellen könnten.
Westberlin dagegen bleibt in gewohnt selbstzufriedener Hartleibigkeit bei seiner „Wo kommen wir denn dahin“ – Schrebergartenmentalität. Ansonsten freue man sich, so die Stadträtin, immer wieder über Unterstützung von Freiwilligen und Ehrenamtlichen. Zynischer geht’s wirklich nicht.
Sehr irritiert hat das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf den Inhalt der sonst so scharfsinnig kritischen Kolumne von Frau Zucker am 9. Dezember aufgenommen.
Die Jugendeinrichtung Schloss 19 wollte seinen Veranstaltungs-Saal gelegentlich nachts als temporäre Notunterkunft für Flüchtlinge zur Verfügung stellen.
Bezirksstadträtin Dagmar König entschied daraufhin vollkommen richtig, dass die Einrichtung zum einen nicht für eine Notunterbringung zuständig ist und zum anderen der Nutzungsvertrag diese auch nicht erlaube. Denn auch wenn der Raum nachts nicht benötigt würde, kann von den Flüchtlingen nicht verlangt werden, dass sie diesen am nächsten Tag – mitten im Winter – wieder verlassen.
Es ist nun einmal unumstrittene Tatsache, dass sowohl die Unterbringung als auch die Schaffung von menschenwürdigen Lebensumständen nicht Aufgabe Ehrenamtlicher ist, hier liegt die Verantwortung ganz klar auf Senatsebene.
Mit Sicherheit sind einige Bezirke flexibler was Unterbringungsmöglichkeiten angeht, dennoch kann Charlottenburg-Wilmersdorf und seine Entscheidungsträgerinnen und –träger nicht als ignorant bezeichnet werden. In nunmehr 13 Einrichtungen sind derzeit 5155 Flüchtlinge – berlinweit die meisten – untergebracht, da kann von fehlender situativer Kreativität und Mitmenschlichkeit nicht die Rede sein.
Die Verwaltung ruht sich nicht auf Vorschriften aus, aber dennoch ist das Bezirksamt gehalten, sich an gegebene Gesetze und Vorschriften zu halten, so dass Flüchtlinge nicht überall untergebracht werden können.
Dass der Bezirk eine grundlegende Willkommenskultur praktiziert und der Aufnahme von Flüchtlingen offen gegenüber steht, zeigt auch das starke ehrenamtliche Engagement der Charlottenburg-Wilmersdorfer Bürgerinnen und Bürger.
Aus den Unterbringungszahlen des Senats geht nicht nur hervor, dass der Bezirk die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat, sondern auch dass es keinen gravierenden Unterschied zwischen Ost und West in der Unterbringung gibt, wenn es um die Bewältigung dieser Notlage geht.
Somit kann weder von einer gewohnt selbstzufriedenen Hartleibigkeit Westberlins noch von einer “Wo kommen wir denn dahin – Schrebergartenmentalität“ gesprochen werden.
Carsten Engelmann, Stellvertretender Bezirksbürgermeister:
Natürlich ist es angesichts der Lage zynisch, aber das Bezirksamt kann seine Dankbarkeit nicht oft genug betonen und allen tatkräftig helfenden Ehrenamtlichen in den Unterkünften aussprechen, die den Flüchtlingen mit Menschlichkeit und Zuwendung begegnen! Ohne sie wäre die anhaltend schwierige Situation nicht zu meistern.
Im Auftrag
Gottschalk
- noch mal, wie bitte?
Alles läuft gut, der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf praktiziert eine Willkommenskultur, das zeigt das starke ehrenamtliche Engagement der Bürger. Und weil der Bezirk schon so gut ist, muss die Verwaltung nicht wie in anderen Bezirken pragmatisch mit den Vorschriften umgehen und einen Beitrag dazu leisten, dass Ehrenamtliche die Folgen des Zusammenbruchs einer Berliner Behörde abmildern und Menschen Schlafplätze auch ausser der Reihe schaffen?
Versteht jemand diese Logik?
Und warum braucht ein Jugendclub überhaupt eine Genehmigung, wenn er seine Räume im Rahmen der sozialen Arbeit für Übernachtungsaktionen nutzt, zu denen auch Aussenstehende (wie z.B. Flüchtlinge) eingeladen sind?