«

»

Jul 25

Mit gebrochenen Flügeln kann man nicht fliegen – Von der Hoffnungslosigkeit Geflüchteter (und ihrer Helfer) in Berlin

„No flying with broken wings“ – Mit gebrochenen Flügeln kann man nicht fliegen – diese Whats App Nachricht schickte gerade der 19jährige Mahmoud. Er lebt seit 9 Monaten mit seinen beiden Brüdern in Kladow in einer Turnhalle, gemeinsam mit 120 anderen Männern, Feldbett an Feldbett ohne jede Privatsphäre, ohne einen Platz um zu lernen, ohne Kontakt zu der deutschen Welt um sie herum. Sie hatten gehört, irgendwann sollten die Turnhallen geräumt werden, es würden neue Unterkünfte gebaut – aber nun wurde ihnen erklärt, es gäbe nicht genügend Unterkünfte für alle und Familien hätten Vorrang, deshalb kämen sie vermutlich nach Tempelhof. 

Nicht nur in Kladow verlieren Menschen die Hoffnung. In dieser Woche wurde die Messehalle 26 geräumt. Bereits im Mai hatte der Tagesspiegel eine Liste veröffentlicht, aus welchen Turnhallen Menschen wann in welche neuen Unterkünfte umziehen sollen. Den Anfang machte das Horst-Korber-Sportzentrum, das Leistungszentrum des Landessportbundes, in dem 1000 Menschen über Monate in 2 großen Hallen ohne jeden Sichtschutz gelebt hatten. Dass die Menschen schlicht in die nächste große Halle kamen, nämlich in die Messehalle 26, war nur eine Randbemerkung in den jubelnden Presseerklärungen. Immer war klar, dass die IFA ins Haus steht und die Messehalle 26 spätestens Ende Juli wieder frei sein musste. Aber – in dem schönen Plan, wer wohin ziehen soll, waren Bewohner der Messehalle nicht enthalten, eine neue Unterkunft für sie nicht vorgesehen.
 
Bis zuletzt wurde anscheinend darüber hinter den Kulissen gerungen, der Träger hoffte wohl, sie zumindest zum Teil in eigene andere Heime mitnehmen zu können, für die anderen sollte es einen eigenen Hangar in Tempelhof geben, aus dem sie dann später zusammen in Container am Tempelhofer Feld ziehen könnten. Mitarbeiter des LAGeSo und des Trägers sprachen mit den Menschen und machten Hoffnungen, die sich dann alle auf den letzten Metern zerschlugen. Hektisch fing man Tage vor dem Umzug an, die Bewohner auf freie Plätze in der ganzen Stadt zu verteilen, hier eine Turnhalle, dort eine Notunterkunft in einem Bürogebäude und für das Gros blieb nur Tempelhof. Aber nicht der eigene Hangar mit den vertrauten Sozialarbeitern (für den waren offenbar nicht rechtzeitig Toiletten bestellt worden), sondern verteilt immer dorthin, wo gerade ein Bett frei war. 
 
Seit Donnerstag kampieren nun Menschen vor dem ICC. Sie sind aufgerieben, mürbe und verzweifelt. Sie wollen nichts als Zimmer, in denen sie schlafen können, sie möchten mit ihren Familienmitgliedern wieder zusammenkommen, von denen sie bei der Verteilerei getrennt wurden und sie wollen sich nach Monaten nicht mehr in langen Reihen zur Fütterung anstellen – sie möchten die Chance haben selbst zu kochen. Und sie wollen nicht auf das Abstellgleis nach Tempelhof – denn es ist ihnen klar, dass die Hangars die letzte Notunterkunft sein wird, die geräumt werden wird. Von Gesetzes wegen steht ihnen das zu, sie müssten alle nicht mehr in Erstaufnahmelagern leben, müssten abgeschlossene Räume für sich und ihre Kinder haben und müssten Geld bekommen, um ihr Essen selbst zu kochen. Fast überall in Deutschland ist das auch längst der Fall.
 
Von Freunden hören sie immer wieder, wie es in anderen Städten zugeht und von freien Zimmern in Berliner Unterkünften. Ob das nur Gerüchte sind oder ob freie Zimmer wirklich nicht vergeben werden, weil die Belegungssoftware des LAGeSo noch immer nicht funktioniert – keiner weiß es. Warum dürfen sie nicht nach Schleswig-Holstein zum Bruder gehen, wenn es dort Wohnungen gibt?  Wie lange sollen sie in den Hangars in Tempelhof leben? Warum baut man in Tempelhof zwar Willkommen in Arbeit Büros und Kunstprojekte aber keine Küchencontainer auf, damit sie sich endlich selbst versorgen und damit auch ein Stück Würde zurückbekommen können? Statt zu antworten demonstriert der Leiter der LAGeSo-Aussenstelle im ICC Macht. Die Security bekommt die Anweisung, die protestierenden Menschen bei einem Wolkenbruch mit ihren Habseligkeiten vom schützenden Vordach weg in den Regen zu treiben. https://www.facebook.com/WillkommenImWestend/videos/1002398376546227/ „Wir haben die Macht, Ihr kein Recht, Euch zu beklagen und wir kriegen Euch schon klein“, das ist die Botschaft, die er sendet. Die Menschen bleiben friedlich und diszipliniert, sie lassen sich nicht provozieren – in den Bus nach Tempelhof steigen sie trotzdem nicht, sie glauben, das hier sei ihre letzte Chance.


 
Viel wurde in den letzten Monaten über fehlende Sozialwohnungen und Bauten für Geflüchtete geredet. Die modularen Unterkünfte für Flüchtlinge, die neuen Containerdörfer, die ganzen schönen Pläne für die neuen Heime sind aber noch immer fast nichts als Papier. Selbst wenn irgendwo ein Gebäude bereitsteht, scheitert der Einzug an einer rechtskonformen Ausschreibung des Trägervertrags und fertige Räume bleiben wochenlang leer. Während fast alle Bundesländer die Unterbringungsprobleme gelöst haben, sind in Berlin für viele längst beschlossenen Flächen die Container angeblich noch nicht einmal bestellt, leben hier noch immer tausende von Menschen in Turnhallen und realistisch betrachtet, ist trotz aller Sonntagsreden kein Ende absehbar. Es ist wie vertrackt, selbst wenn man sich beim LAGeSo darum bemüht, irgendein Problem gibt es immer, irgendjemand stellt sich immer in den Weg. Bezirke, die keine Flächen freigeben möchten, der Brandschutz, seltene Kröten, die Nachbarn, die Arztpraxis, die aus einem ansonsten bereitstehenden Gebäude nicht ausziehen möchte, nach diversen berechtigten und unberechtigten Vorwürfen ängstliche Verwaltungsmitarbeiter, die sich absichern wollen, bevor sie irgendwas entscheiden, Kommunikationswege, die nicht funktionieren und das Hin- und Herschieben von Zuständigkeiten und Verantwortungen. Wenn Geflüchtete Glück haben und auf eigene Faust (oder mit unserer Hilfe) eine Wohnung finden, dauert die Prüfung des Vertrages wochenlang, so dass Vermieter in der Zwischenzeit längst wieder abgesprungen sind und Wohnberechtigungsscheine erhalten sie auch nicht. Man streitet sich über die Zahl neuer Sozialwohnungen und in der Zwischenzeit ist noch kein einziger Bau begonnen worden. Und dabei wissen es alle: Wenn die Zugangszahlen plötzlich wieder steigen, weil der Türkeideal platzt oder plötzlich türkische Flüchtlinge vor der Tür stehen, haben wir auch wieder die Bilder des letzten Jahres in der Stadt.

Der Notstand ist im Moment nicht so offensichtlich wie im letzten Herbst, es gibt Betten für die Flüchtlinge, die hier sind und eine medizinische Versorgung, die einigermaßen funktioniert – und damit ist das typische Berliner Spiel wieder losgegangen: Jeder will mitreden und alle reden sich raus, niemand ist handlungsfähig oder verantwortlich. Statt die Situation zu meistern, wurstelt man sich durch. 

Und damit brechen wir den Menschen die Flügel. Frust, Sorge, Angst, Verzweiflung hat sich bei vielen breitgemacht, die hier so hoffnungsfroh im vergangenen Herbst ankamen. Manche werden krank oder betäuben sich mit Drogen, andere suchen Halt, bei denen, die sie nur missbrauchen, wieder andere lassen sich schwarz in Pizzerien, Autowerkstätten oder bei Sicherheitsdiensten ausbeuten und was das Allerschlimmste ist: Die Menschen haben das Vertrauen verloren in die Politik, in engagierte Sozialarbeiter und auch in uns Ehrenamtliche – man glaubt uns nicht mehr. Wie sollen wir je dieses verspielte Vertrauen wieder aufbauen, damit es eine Chance zur Integration gibt?
Wir brauchen keine Pläne, die von Schreibtisch zu Schreibtisch geschoben werden, sondern den Willen von allen, die Probleme heute zu lösen. Wir brauchen Sonderschichten auf allen politischen und Verwaltungsebenen um Container zu bestellen, Baugenehmigungen zu erteilen, Schulplätze zu schaffen. Es gibt einen Unterbringungsnotstand und jeder weiß das. Sich weiter durchzuwursteln ist unverantwortlich.