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Mai 03

Offener Brief der flüchtlingspolitischen Initiativen

Offener Brief der flüchtlingspolitischen Initiativen an den neuen Berliner Senat

(-> Original als pdf-Datei)

Als Freiwillige in diversen Berliner Flüchtlingsinitiativen engagieren wir uns für bessere Lebensbedingungen von Geflüchteten in Berlin. In unserer Arbeit begegnen uns täglich die Schwierigkeiten der Menschen.

Wir wollen mit unserem offenen Brief aktuelle Probleme benennen und Lösungen aufzeigen. Dazu gehören vor allem das Wohnungsproblem, schlecht funktionierende Behörden, fehlender Schutz von Jugendlichen, mangelnde Qualitätskontrolle in den Unterkünften und vieles mehr. Dabei sehen wir die Notwendigkeit, eines umfassenden praktischen Konzepts für die bessere Unterbringung, Versorgung, Inklusion und gesellschaftliche Teilhabe von Geflüchteten durch den neuen Berliner Senat.

 

Es besteht in vielen Bereichen dringender Handlungsbedarf. Dafür müssen zu folgenden Punkten konkrete Maßnahmen umgesetzt werden:

1. Unverzügliche Erteilung der Aufenthaltstitel für anerkannte Flüchtlinge durch die Ausländerbehörde

Asylsuchende, die vom BAMF als Flüchtlinge (mit Flüchtlingsschutz oder subsidiärem Schutz) anerkannt wurden, müssen laut § 25 Aufenthaltsgesetz und Artikel 24 EU- Flüchtlingsschutzrichtlinie von der Ausländerbehörde (ABH) unverzüglich eine Aufenthaltserlaubnis (elektronischer Aufenthaltstitel) erhalten. Stattdessen wird in Berlin nur ein 15 Monate gültiger A4 Zettel an die erloschene Aufenthaltsgestattung angehängt (ohne Foto und Hologramm). Begründung der Innenverwaltung sind Sicherheitsbedenken. Obwohl das BAMF bereits alle Dokumente der Geflüchteten geprüft hat, prüft die Berliner Ausländerbehörde die Dokumente erneut. Das verzögert die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis um viele Monate. Den Betroffenen entstehen dadurch große Probleme: in einigen Bezirken bekommen sie keinen WBS, Schwierigkeiten gibt es auch bei Vermietern, Jobsuche und Zugang zu Integrationskursen, es ist nicht gestattet ohne den Aufenthaltstitel ins Ausland zu reisen und der Familiennachzug wird verzögert.

Siehe Pressemitteilung des Flüchtlingsrats:

http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/print_neue_meldungen2.php?post_id=816

 

Wir fordern:

  • Die Ausländerbehörde muss allen Betroffenen unverzüglich die Aufenthaltserlaubnis ausstellen und die diskriminierende und rechtswidrige Zettelpraxis einstellen.
  • Eine unabhängige Beschwerdestelle bei Rechtsverstößen durch Mitarbeiter der Ausländerbehörde

 

2. Recht auf Duldung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (umF)

UmF haben einen Rechtsanspruch auf eine Duldung, der nicht vom Zeitpunkt ihres Antrags auf Asyl abhängig ist. Häufig können sie diesen Antrag nicht frühzeitig stellen, weil sie noch keinen Vormund haben, oder weil sie die Erlebnisse im Herkunftsland und auf der Flucht noch nicht so aufgearbeitet haben, dass sie diese vortragen können. Die Praxis der Ausländerbehörde, Jugendliche und ihre Vormünder*innen oder Pat*innen unter Druck zu setzen und diesen Druck dadurch zu erhöhen, dass sie ihnen anstelle der Duldung nur für kurze Zeit gültige A 4- Bescheinigungen ausstellt, ist nicht zielführend.

 

Wir fordern:

  • Duldungen für umF und die Möglichkeit sich mit ausreichender Ruhe auf den Antrag auf Asyl vorzubereiten bei gleichzeitiger Sicherheit ihrer Bleibeperspektive bis zur Volljährigkeit
  • Eine unabhängige Beschwerdestelle bei Rechtsverstößen gegenüber umFs durch Mitarbeiter der Ausländerbehörde

 

3. Ausbau der Kapazitäten für betreutes Wohnen von umF

UmF und junge unbegleitete Volljährige sind eine besonders gefährdete Zielgruppe unter den Geflüchteten. Nach monatelangem perspektivlosem Warten in Hostels und anderen Erstunterkünften sind nun drei Viertel der umF in bezirklicher Obhut, Hunderte von ihnen aber noch immer in provisorischen Notunterkünften, da keine den Jugendhilfestands entsprechenden Wohneinrichtungen zu finden sind. Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, die Anträge auf Hilfe für junge Volljährige wohlwollend zu prüfen und zu genehmigen. Das ist ein wichtiger Baustein für eine gelingende Integration von jungen Menschen, die ohne den Schutz ihrer Familien nach Deutschland geflohen sind.

 

Wir fordern:

  • Ausbau der Infrastruktur betreuten Wohnens und rascher Aufbau des nötigen Personals
  • Unterstützende Genehmigungspraxis für neue Einrichtungen bei gleichzeitiger klarer Qualitätskontrolle
  • Großzügige Genehmigung der Hilfe für junge Volljährige

 

4. Vollverpflegung und ALG II-Kürzungen für anerkannte Flüchtlinge

Viele Monate erhielten anerkannte Geflüchtete in Notunterkünften den vollen ALG II Satz, auch wenn sie z.B. in den Turnhallen nicht selbst kochen konnten. Aufgrund einer Maßgabe des LAF an das Jobcenter wurden nun die Regelsätze für anerkannte Flüchtlinge in Notunterkünften auf Vollverpflegung und Taschengeld umgestellt. Ihnen wird der Betrag für Essen vom ALG II abgezogen, obwohl es in vielen NUKs Küchen gibt (z.B. Eschenallee) und die Bewohner*innen bisher dort selber kochen konnten. Für die Betroffenen bedeutet das: zwangsweise Rückkehr in die entmündigende Vollverpflegung nach Monaten der Eigenständigkeit. Die Betroffenen müssen deshalb Klagen beim Sozialgericht einreichen. Es gibt großen Unmut bei Geflüchteten, Betreibern, Initiativen. Das Problem ist seit Wochen bekannt und die Zahl der Betroffenen steigt.

Flüchtlingsrat vom 20.02.17 https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=1250729941648485&id=109674169087407

TAZ 20.02.2017: „Berliner Jobcenter und Geflüchtete – Der Hunger kommt“ https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5382260&s=wierth/

 

Wir fordern:

  • Die Sozialsenatorin muss das LAF umgehend anweisen, an die Jobcenter realitätsgerechte Listen zu schicken, in welchen Unterkünften Geflüchtete Küchen zur Verfügung stehen, und die umgehende Nachrüstung von Küchen zur Selbstversorgung veranlassen

 

5. Bezirke verweigern Geflüchteten den Wohnberechtigungsschein

Im Koalitionsvertrag heißt es Geflüchteten sollen einen Wohnberechtigungsschein (WBS) erhalten. [1] Der WBS wird jedoch bislang berlinweit für Asylbewerber und in einigen Bezirken auch für viele anerkannte Geflüchtete verweigert. Begründung ist z.B. der fehlende elektronischen Aufenthaltstitel, der subsidiäre Schutzstatus, oder der Status als Asylbewerber. Die nach § 27 Wohnraumförderungsgesetz für den WBS geforderte Bleibeperspektive ist bereits bei Asylbewerbern mit positiver Bleibeprognose gegeben, und in jedem Fall mit dem BAMF-Anerkennungsbescheid. Die Bausenatorin plant für alle Bezirke eine Ausführungsvorschrift zum WBS. Diese liegt aber bislang noch nicht vor.

Nd 04.03.2017: AfD-Stadtrat verweigert Flüchtlingen Wohnberechtigungsscheine

TAZ 21.03.2017: Auch Grüne behindern Integration

 

Wir fordern:

  • Alle Bezirksämter sollen den Betroffenen unverzüglich einen WBS erteilen
  • Die Bausenatorin soll zum WBS umgehend eine Ausführungsvorschrift für die Bezirke erlassen, die auch Asylsuchende und Geduldete einbezieht
  • Die Ausländerbehörde muss unverzüglich die rechtmäßige elektronische Aufenthaltserlaubnis ausstellen

 

6. Verspätete Mietübernahme durch Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten

Geflüchteten wird die Wohnungssuche unnötig erschwert. Probleme aus der Zeit vor der Berlin-Wahl setzen sich fort und das im Koalitionsvertrag verankerte Ziel Geflüchteten den Bezug normaler Mietwohnungen zu ermöglichen wird nur halbherzig verfolgt: Geflüchtete müssen derzeit sieben Wochen auf Miet- und Kautionszahlungen des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) warten. Wird das Geld nicht durch ehrenamtliche Unterstützer*innen vorgestreckt, besteht das Risiko die Wohnung wieder zu verlieren. Zudem werden vom LAF zahlreiche Detailangaben zum Mietangebot verlangt, ohne dass diese auf der Homepage angegeben sind. Bei fehlenden Unterlagen sind erneute persönliche Vorsprachen mit langen Wartezeiten nötig. Das Nachreichen z.B. per Email ist nicht möglich. Viele Mietangebote gehen wegen der langsamen Verwaltungsabläufe verloren und die Bereitschaft an Geflüchtete zu vermieten sinkt. Integration sowie ein menschenwürdiges Leben werden verhindert und verschoben.

Presseerklärung des Flüchtlingsrats vom 17.02.2017: „Warten Sie bitte sieben Wochen auf Ihre Miete, wir zahlen bestimmt“ http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/print_pe2.php?post_id=811

 

Wir fordern:

  • Sofortige schnelle und unbürokratische Bearbeitung von Wohnungsangeboten und Beseitigung der seit langem bestehenden Hindernisse (lange Bearbeitungszeiten, späte Kautions- oder Mietzahlungen, etc.) beim LAF
  • Bessere Personalausstattung des LAF zur Prüfung der Wohnungsangebote
  • Aktive Unterstützung der Bereitschaft von Vermietern an Flüchtlinge zu vermieten und verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen durch geeignete Mittel (Information und Werbung, Presse- bzw. PR-Veranstaltungen, öffentlicher Appel des Regierenden Bürgermeisters und der Bezirksbürgermeister)
  • Vereinbarungen des Senats und der Bezirke über Wohnungskontingente mit landeseigenen und privaten Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften

 

 

7. Unzureichende Ausstattung und Kontrolle von Flüchtlingsunterkünften

Bauliche Mängel, unzureichende Ausstattung und Vertragsverstöße sind in Notunterkünften (NUK), Gemeinschaftsunterkünften (GU), Containerunterkünften (Tempohomes) und den neuen Modulbauten (MuF) san der Tagesordnung.

Senat, LAF und BIM sind bisher in keiner Weise initiativ, um zügig eine Herrichtung baulich geeigneter Notunterkünfte zu regulären GUs mit ausreichend Küchen und Sanitärausstattung und ggf. abgeschlossenen Wohneinheiten zu veranlassen. NUK Betreiber berichten, dass Anträge auf Nachrüstung von Küchen vom LAF nicht bearbeitet würden.

 

Wir fordern:

  • Herrichtung geeigneter NUKs zu regulären Gus mit gut ausgestatteten Küchen und Sanitäranlagen und nach Möglichkeit abgeschlossenen Wohneinheiten
  • niederschwellig erreichbares, transparent und effektiv arbeitendes Beschwerdemanagement bei Mängeln, Vertragsverstößen, diskriminierender Behandlung und Gewalt für Bewohner*innen in allen Unterkünften und Unterstützer*innen
  • arbeitende Bewohner*innen in den Unterkünften, dürfen nicht den vollen Tagessatz sondern nur eine ortsübliche Miete selbst zahlen müssen.

 

8. Besonders Schutzbedürftige, Hausverbote, Gewalt durch Security und Personal

  1. a) Geflüchtete bleiben nach Hausverbot obdachlos

Für die Unterbringung obdachloser anerkannter Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigter sind die Bezirke/Jobcenter zuständig. Der Bezirk Mitte verweigert nach wie vor, obdachlos gewordenen Geflüchtete, die in einer Unterkunft Hausverbot erhalten haben, in eine neuen Unterkunft oder Wohnung zu vermitteln.

http://www.morgenpost.de/berlin/article209922997/Wie-Berliner-Bezirke-Fluechtlinge-obdachlos-machen.html

Das Verwaltungsgericht Berlin diese Praxis für grund- und menschenrechtwidrig erklärt und verpflichtet die Sozialämter, bei Obdachlosigkeit infolge „Hausverbots“ eine neue Notunterkunft zuzuweisen. PM Flüchtlingsrat 14.03.2017:

http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/print_neue_meldungen2.php?post_id=818

Das Bezirksamt Mitte setzt die Menschen jedoch auch weiterhin rechtswidrig obdachlos aus.

  1. b) Fehlende Kontrolle und Regeln für Hausverbote

Wie oft und weshalb Hausverbote ausgesprochen werden, wird nicht erfasst. Es gibt keine klaren Kriterien, wann Hausverbote erteilt werden dürfen – oft reicht schon geringes Fehlverhalten (wie z.B. Stören der Nachtruhe, Beleidigung des Wachpersonals, Rauchen auf dem Zimmer). Es gibt keine Beschwerde- oder Kontrollinstanz.

 

  1. c) Unterbringungen für psychisch Kranke und Drogenabhängige

Für geflüchtete Menschen, die sich aufgrund psychischer Erkrankungen oder Sucht nicht immer regelkonform verhalten und mit dem Stress in den Massenunterkünften überfordert sind, gibt keine geeigneten Wohnformen. Wegen auffälligem Verhalten oder zum Schutz der übrigen Bewohner erhalten sie in den Unterkünften schnell Hausverbote und entwickeln sich zum „Wanderpokal“, der von Unterkunft zu Unterkunft geschickt wird, bis niemand sie mehr aufnimmt und sie auf der Straße landen.

Dies gilt auch für unbegleitete minderjährige Geflüchtete, die sich im Tiergarten prostituieren und für die niemand zuständig ist.

ARD-Dokumentation:  http://www.ardmediathek.de/tv/Reportage-Dokumentation/Verschwunden-in-Deutschland-Auf-der-Su/Das-Erste/Video?bcastId=799280&documentId=41846034

  1. d) Gewalt durch Security und Personal

Leider kommt es in einigen Unterkünften immer wieder zu Gewalt oder Bedrohung der Bewohner*innen durch Security oder Personal. Durch das Abhängigkeitsverhältnis und die Angst vor weiteren Übergriffen, Rausschmiss oder sonstigen Repressalien trauen sich die Geflüchteten nicht, von diesen Problemen zu berichten, sich zu beschweren oder Anzeige zu erstatten. Es muss auch hierfür eine für alle leicht erreichbare unabhängige Beschwerdestelle geben, die den Betroffenen Anonymität und Schutz gewährt.

 

Wir fordern:

  • Klare Regeln wonach Hausverbot erteilt werden darf und ein Monitoring des Umgangs mit dem Instrument Hausverbot
  • Unabhängige Beschwerdestelle, für Geflüchtete, Ehrenamtliche und Sozialarbeiter in den Unterkünften bei ungerechtfertigtem Hausverbot, Drohungen oder Übergriffen durch Security oder Personal in den Unterkünften
  • Vermeidung von Obdachlosigkeit und Unterbringung in einer anderen Unterkunft wenn ein Hausverbot erteilt wurde
  • Therapieangebote an psychisch Kranke und Drogenabhängige, die aufgrund ihrer Erkrankung oder Sucht häufig mit Hausverboten konfrontiert sind

 

9. Freizug von Notunterkünften

Beim aktuellen Freizug der Turnhallen und anderer Unterkünfte wurden die Bewohner*innen z.T. in weit entfernte Unterkünfte am Stadtrand verlegt, ohne den sozialräumlichen Bezug, die gewachsenen Bindungen im Kiez und die bereits gute Integration der Kinder in Kita und Schule zu berücksichtigen. Beispiel Pölchauschule: mitten im laufenden Schuljahr wurde die Unterkunft freigezogen und die Bewohner*innen nach Marzahn und Neukölln umverteilt. Unterkünfte und Unterstützer*innen wurden erst kurzfristig informiert und vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Kinder besuchten die umliegenden Kitas und Schulen, so dass viele Eltern sie jetzt jeden Tag aus Marzahn nach Charlottenburg bringen müssen.

Auch beim Umzug in die neue MUF in der Wittenberger Straße wurden von Unterstützer*innen massive Mängel festgestellt http://oplatz.net/der-lager-zwangsumzug-von-berlin-wedding-nach-marzahn-eine-ehrentamtliche-berichtet/

 

Wir fordern

  • LAF und Sozialstadträte müssen bei den nächsten Schließungen von Unterkünften auf den sozialräumlichen Bezug, auf Schul- und Kitaplätze Rücksicht nehmen.
  • Rechtzeitige Information an Betreiber, Bewohner und Freiwillige
  • Umzüge und Inbetriebnahme neuer Unterkünfte dürfen erst erfolgen, wenn die neue Einrichtung fertig ausgestattet ist
  • Frühzeitige Bemühungen um Wohnungen und Unterkünfte im Stadtteil durch alle Beteiligten, LAF (bevorzugte Zuweisung freier Plätze in Unterkünfte im Sozialraum, schnelle Genehmigung von Wohnungsmietverträgen), Bezirke (aktive Ansprache an Vermieter, Wohnungsgesellschaften, Nachbarschaften, Erteilung von WBS), Betreiber und Freiwillige (rechtzeitige Konzentration auf Unterstützung bei der Wohnungssuche, adäquate, einzelfallbezogene Organisation des Freizugs)

 

10. Container auf dem Tempelhofer Feld, Ankunftszentrum in den Hangars

Noch vor einem Jahr stimmten Linke, Grüne und Piraten gegen die Änderung des THF-Gesetzes und protestierten gegen ein Flüchtlingsghetto im Flughafen und auf dem Feld. Jetzt wird dort ein Containerdorf mit 1100 Plätzen gebaut und zwar nicht auf das ursprünglich vorgesehene Vorfeld des Flughafens, sondern ohne Not auf eine „Reservefläche“ auf dem Feld, für die das Tempelhofgesetz bis 2019 geändert wurde.

Die Sozialsenatorin versichert einen Rückbau nach zweieinhalb Jahren. Erschließungskosten von 16 Mio Euro plus der noch nicht kalkulierten Rückbaukosten legen den Verdacht nahe, dass hier durch die teure Erschließung Tatsachen geschaffen werden sollen, die eine spätere Bebauung rechtfertigen. Ansonsten wäre das Ganze einfach unsinnige Geldverschwendung für eine Massenunterbringung auf Substandard.

Wir kritisieren, dass die Unterbringung Geflüchteter dafür genutzt wird, Initiativen gegeneinander auszuspielen.

Zudem wird die Flüchtlingsunterbringung in den Hangars nicht beendet, wie im Koalitionsvertrag vereinbart[2]. Es ist geplant, die Hangars als zentrale Berliner Erstaufnahmeunterkunft weiter zu betreiben und zu einem “Ankunftszentrum“ auszubauen. Dort sollen Geflüchtete sofort nach ihrer Ankunft in Berlin untergebracht werden. Die Asylanhörung und die Entscheidung über den Asylantrag sollen binnen 48 Stunden ohne Zeit für Erholung und unabhängige Asylverfahrensberatung stattfinden. Dafür ist geplant, in den Hangars auch Behörden unterzubringen.

Taz (20.03.2017): Flüchtlingsheim auf dem Tempelhofer Feld: Eigentlich irre https://www.taz.de/!5390300/

Siehe auch: http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/print_news2.php?post_id=749

http://www.thf100.de/start.html

 

Wir fordern:

  • Kein Ausspielen von Berliner Initiativen auf Kosten der Geflüchteten. Stopp der Erschließung auf der Reservefläche, stattdessen Nutzung des Vorfelds
  • Sofortiger Stopp der geplanten Nutzung und des geplanten Ausbau der Hangars 1 und 2 zum Ankunftszentrum. Unterbringung neu ankommender Geflüchteter an menschenwürdigen Orten
  • Die Asylanhörung darf nicht unmittelbar nach Ankunft, unvorbereitet bzw. ohne fachliche Beratung durch unabhängige Anwälte oder Beratungsstellen stattfinden
  • Erstellung des im Koalitionsvertrag versprochenen verbindlichen Zeit- und Maßnahmenplans zur Unterbringung Geflüchteter in Berlin.[3]
  • Wohnungen für Geflüchtete, statt der weitere Ausbau von Massenlagern

 

11. Schneller Übergang in Regelklassen, inklusive Beschulung in der Grundschule

Immer noch wird die Beschulung geflüchteter Kindern sehr unterschiedlich gehandhabt. Trotz der Empfehlung, dass alle Kinder an den Grundschulen sofort in Regelklassen gemeinsam beschult werden sollen, ist das nicht überall gewährleistet. In manchen Schulen werden bereits in der Eingangsstufe sog. Willkommensklassen eingerichtet und eine Separation geflüchteter Schüler*innen praktiziert. Oft gibt es nicht einmal gemeinsamen Ausflüge und Freizeitangebote. Selbst Fächer wie Sport und Kunst werden getrennt unterrichtet. Das widerspricht nicht nur dem Gedanken der Integration sondern auch jeder Erkenntnis der Lernforschung in Bezug auf das Erlernen einer Sprache durch sozialen Kontakt und Interaktion mit Gleichaltrigen.

 

Wir fordern:

  • Verbindliche Regeln, nach denen geflüchtete Kinder in den Schulen inklusiv und in sozialer Interaktion mit gleichaltrigen deutschen Kindern unterrichtet und individuell unterstützt werden
  • Interkulturell geschultes Personal, vereinheitlichte Dokumentation der Lernerfolge und organisierter Austausch von best -practise

 

12. Schulbildung von Kindern mit geistiger/körperlicher Beeinträchtigung

Teilweise wird Kindern mit Behinderungen kein Zugang zu Schulbildung gewährt wird. Es gelingt den zuständigen Stellen nicht, geeignete Schulplätze bereit zu stellen. Das bremst nicht nur die Integration der betroffenen Kinder, sondern auch die der Eltern, die durch die erforderliche Betreuung z.B. nicht an Sprachkursen teilnehmen können.

 

Wir fordern:

  • Geeignete inklusive Schulplätze für geflüchtete Kinder mit Behinderung

 

13. Berufsschule für Geflüchtete

Bisher gibt es an den Berufsschulen weder Sprachunterricht noch eine spezielle Förderung (z.B. in Mathe oder Englisch) für junge Geflüchtete. Das wird ab September schwierig für alle Beteiligten, Arbeitgeber, Lehrer und Geflüchtete, dabei ließe sich mit gezieltem Förderunterricht vieles erleichtern.

 

Wir fordern:

  • Eine koordinierten Maßnahmenkatalog, der die Übergänge zwischen Willkommens- in Regelstrukturen in alle Schultypen verbindlich berlinweit regelt
  • Dabei müssen für die neu hinzukommenden Schüler*innen Unterstützungsangebote bereitstehen, sprachlich, fachsprachlich und in Fächern, in denen Nachholbedarf besteht. Dies gilt insbesondere für Berufsschulen. Für viele junge Flüchtlinge die einzige Option, ihren Bildungsweg in einer Ausbildung abzuschließen

 

14. Berufsanerkennung: Ärzte hängen im Lageso in der Warteschleife

Zahlreiche geflüchtete Ärzte warten in Berlin auf ihre Berufsanerkennung – viele von ihnen haben bereits konkrete Stellenangebote. Derzeit beträgt die Wartezeit auf die Anerkennung mehrere Monate, weil in der zuständigen Stelle beim Lageso Personal fehlt. Das betrifft auch andere Berufsgruppen und führt dazu, dass viele Betroffene auf Transferleistungen angewiesen sind, obwohl sie kurzfristig arbeiten könnten.

 

Wir fordern:

  • Bereitstellung des nötigen Ressourcen beim Lageso für schnelle und unbürokratische Berufsanerkennung

 

15. Praktische Auswirkungen der Abschiebungen nach Afghanistan und der Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte

Viele Geflüchtete leben in ständiger Angst vor Abschiebung und um das Leben ihrer Familien in den Herkunftsländern. Das hat erhebliche Folgen für die Betroffenen. Sie können nicht zur Ruhe kommen, um traumatische Erlebnisse zu verarbeiten und haben es extrem schwer ihre Zukunft zu planen, die Sprache zu erlernen, sich auf neue Strukturen einzulassen. Voraussetzung für Integration ist, dass die Geflüchteten für sich und ihre Familie eine sichere Zukunft sehen. Ständige Angst macht die Menschen resignativ und psychisch krank.

Ein Beispiel: Momentan schließen viele Geflüchtete aus Angst abgeschoben zu werden, einen Ausbildungsvertrag ab und verlassen die OSZs oder andere Schulen. Oft reicht ihr Deutsch noch nicht für eine erfolgreiche berufliche Ausbildung. Zudem fehlen Willkommensklassen oder Förderunterrichtsangebote an den Berufsschulen und erschweren die Lage all derjenigen, die wegen drohender Abschiebungen Berufsausbildungen anfangen.

Lehrer-Brandbrief an den Regierenden Bürgermeister und den Bundesinnenminister vom 29.03. 2017: http://www.berliner-zeitung.de/berlin/lehrer-brandbrief-vielen-schuelern-der-willkommensklassen-droht-die-abschiebung-26275004?dmcid=sm_fb

Fachartikel zur Situation in Afghanistan im Asylmagazin 3/17 https://www.frsh.de/fileadmin/pdf/Aktuelles/AM17-3_U%CC%88berleben_in_Afghanistan_Stahlmann.pdf

Jahresbericht Irak (Amnesty International): http://www.ecoi.net/local_link/336503/479164_de.html

 

Wir fordern:

  • Berlin muss sich klar und öffentlich zu einem Abschiebestopp nach Afghanistan bekennen
  • Berlin muss sich im Bund dafür einsetzen, dass die Abschiebungen nach Afghanistan umgehend gestoppt werden
  • Berlin muss sich im Bund dafür einsetzen, dass das Aussetzen des Familiennachzugs für subsidiär Schutzbedürftige zurückgenommen wird
  • Bildungsberatungsstellen müssen ihr Angebot auf diese neue Klientel orientieren, um gelingende Ausbildungsgänge zu begleiten
  • Berlin muss die Möglichkeiten der Aufenthaltserteilung aus humanitäre Gründen für abgelehnte Asylbewerber sehr viel großzügiger als bisher nutzen[4]

 

16. Gesprächskultur des Senats mit Freiwilligeninitiativen

Im Koalitionsvertrag verpflichtet sich die Koalition „zu einer Politik des guten, also bürgernahen, partizipativen und solidarischen Regierens.“[5] Dazu gehören auch offene und moderne Formate der Kommunikation mit Freiwilligeninitiativen. Derzeit sind nur Wohlfahrtsverbände, Flüchtlingsrat und andere strukturierte Lobbyorganisationen in Kommunikationswege des Senats eingebunden. Obwohl es in der ganzen Stadt lose organisierte Freiwilligeninitiativen gibt, die hervorragende Arbeit leisten und in denen sich viel Sachverstand konzentriert, fehlt es an geeigneten Kommunikationsformen, um Erfahrungen aus der direkten Arbeit mit Geflüchteten schnell an die Politik weiter zu geben. Ein regelmäßiger Austausch und neue Formen einer offenen Kommunikation mit zivilgesellschaftlichen Initiativen und den Geflüchteten selbst sind notwendig, damit Probleme zeitnah erkannt und gelöst werden können.

 

Wir fordern

  • Sofortige und danach regelmäßige Gespräche zwischen Verantwortlichen von Bezirk und Senat und den Initiativen zu aktuellen Problemen
  • Erfahrungen aus der direkten Arbeit mit Geflüchteten in die politische Entscheidungen miteinzubeziehen und Kritik von unserer Seite zu nutzen, um konstruktive Lösungen für bestehende Probleme zu finden

 

Missstände in der Versorgung und Inklusion von Geflüchteten sind in Berlin schon lange ein großes Problem, mit dem wir uns als ehrenamtlichen Initiativen intensiv auseinandersetzen. Es funktioniert noch immer vieles nicht so wie es sollte.

Dazu gehören vor allem das Wohnungsproblem, schlecht funktionierende Behörden, fehlender Schutz von Jugendlichen, mangelnde Qualitätskontrolle in den Unterkünften und vieles mehr.

Der neue Berliner Senat hat jetzt die Möglichkeit das zu ändern und die Unterbringung, Versorgung und gesellschaftliche Teilhabe der Geflüchteten in Berlin aktiv zu verbessern. Wir als flüchtlingspolitische Initiativen, Beratungsstellen und NGOs sind gern bereit mit unserem Wissen und unserer Erfahrung dabei mitzuwirken.

 

Berlin, den 02.05.2017

 

Willkommen im Westend                               Schöneberg hilft e.V

Asyl in der Kirche e. V.                                     Moabit hilft e.V.

weltweit –berlin                                                 Wedding.hilft

Johannisthal Hilft                                               Pankow Hilft!

Kreuzberg hilft e.V.                                                 Bündnis Neukölln

Be an Angel                                                           Willkommen in Wilmersdorf

Netzwerk „Berlin hilft! “                                   Sportverein „Roter Stern Berlin 2012 e.V.“

encourage e.V. – Hilfe für junge Geflüchtete

 

[1] Koalitionsvertrag. Metropole Berlin- weltoffen, vielfältig und gerecht. Geflüchtete bedarfsgerecht und nachhaltig unterbringen Z. 311-315 „„Die Koalition wird alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um Geflüchteten den individuellen Zugang zum Wohnungsmarkt zu ermöglichen. Dafür wird geprüft wie alle Geflüchteten die Anmietung einer Sozialwohnung mit Wohnberechtigungsschein ermöglicht werden kann und bezieht die Praxis von Bremen und Niedersachsen ein.“ http://www.rbb-online.de/politik/wahl/berlin/agh/koalitionsvertrag-berlin-spd-gruene-linke.html

[2] Koalitionsvertrag: Besondere Orte Berlins attraktiv weiterentwickeln Z. 202 ff: Tempelhofer Feld und Flughafengebäude: Die Bebauung des Tempelhofer Feldes wird ausgeschlossen. Der § 9 des Gesetzes zum Erhalt des Tempelhofer Feldes bleibt befristet. Die Nutzung für Geflüchtete wird schnellstmöglich beendet.

 

[3] Maßnahmenplan zu verschiedene Einzelmaßnahmen, wie Umbau landeseigener Bundesimmobilien, Realisierung der Modularen Unterkünfte als Wohnungen, Unterbringung in privaten Netzwerken und durch integrative Wohn- und Selbsthilfeprojekte, vorübergehende Kontingentvereinbarungen mit gewerblichen Beherbergungsbetrieben, Kooperation mit den Bezirken. (vgl. Koalitionsvertrag Geflüchtete bedarfsgerecht und nachhaltig unterbringen, Z. 294 ff)

[4] §§ 23a, 25 Abs. 4, 25a, 25b AufenthG.

[5] Vgl. Koalitionsvertrag IV Gutes Regieren Z. 1ff. und III Für ein bürgernahes und lebenswertes Berlin. Bürger*innenschaftliches Engagement und Partizipation Z. 1 ff.